Fördern ohne zu fordern: Ein Modell für das Bedingungslose Grundeinkommen

27.02.2021

Das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) wird kontrovers diskutiert. Es gibt engagierte Fürsprecher genauso wie engagierte Gegner in allen Dimensionen des politischen Spektrums. Selbst unter neoliberalen Denkern finden sich Fürsprecher für das BGE, wie beispielsweise Milton Friedman und auf der anderen Seite gibt es linke BGE Gegner. Dass es so eine ideologisch bunte Mischung an Gegnern und Fürsprechern gibt, liegt zum Einen wohl daran, dass es kein einheitliches Modell für das BGE gibt und sich unter dieser Überschrift die verschiedensten Ansätze tummeln.


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So gibt es also neoliberale oder kapitalistische BGE Ansätze, die ganz konsistent mit dieser Ideologie, die Abschaffung der Sozialsysteme zum Ziel haben, immer mit dem Hintergrundgedanken: weniger Staat ist besser. Der Staat wird also massiv verschlankt, somit fallen Bürokratiekosten weg, gleichzeitig wird der Bevölkerung ein Mindestmaß an Konsum finanziert. Man stellt sich also vor, dass die Steuern für Unternehmen massiv gesenkt werden und gleichzeitig der Umsatz quasi garantiert wird. Der feuchte Traum jedes Kapitalisten.

Warum es auf der linken Seite Gegner des BGE gibt, hat kompliziertere Gründe, die teilweise im Menschenbild der Gegner verankert sind. Darauf will ich hier nicht eingehen. Aber auch von links kommt immer der gleiche Einwand: Wie soll das finanziert werden? Nun würde die Modern Monetary Theory (MMT) ja erklären, wie das finanziert werden kann, nämlich über Staatsausgaben, aber innerhalb der MMT finden sich viele Gegner des BGEs. Deren Argument ist: eine Finanzierung über den reinen Konsum (die Nachfrageseite) sei nicht sinnvoll, besser wäre es Vollbeschäftgigung zu schaffen, damit jeder einen sinnvollen Job hat und gleichzeitig sein Leben finanzieren kann. Auf diese Argumentation und den Lösungsvorschlag der MMT, die Jobgarantie (JG), werde ich auch an anderer Stelle eingehen.

Stattdessen möchte ich hier ein grobes Modell für ein BGE vorstellen, das zwei Zwecke erfüllt, und aus meiner Sicht finanzierbar sein sollte. Es dient erstens dem Bürokratieabbau und gibt den Menschen finanzielle Sicherheit und es weicht vom heutigen System nicht zu stark ab, so dass ein Umstellungsrisiko geringer ausfällt, als bei massiven Eingriffen in die jetzigen Verhältnisse. Desweiteren könnte man dieses System langsam und schrittweise einführen, mit langsam steigenden BGE Beträgen und würde so Gefahren durch einen "Big Bang" vermeiden. Der Kern des Modells, die Verrechnung von Arbeitseinkommen, stammt nicht von mir, und ich kann leider auch nicht sagen, wer es zuerst vorgeschlagen hat. Außerdem ist es nur ein grober Umriss, einige Fragen bleiben offen, sicherlich auch solche, die ich jetzt selbst noch nicht im Kopf habe. Somit ist es eine Diskussionsgrundlage; eine Idee wie es gehen könnte ohne dass der Staat den Leuten einfach Geld gibt, das er den Reichen vorher wegnehmen muss oder sich verschuldet.

Im Grunde wird ja oft so gerechnet: Ein BGE von beispielsweise 1.000 € verteilt auf 83 Mio. Einwohner in Deutschland würde zu zusätzlichen Staatsausgaben von 996 Mrd. € pro Jahr führen, das wäre ja fast das 3 fache des bisherigen Haushalts zusätzlich. Es muss doch jedem einleuchten, dass das nicht finanzierbar ist!!11!!1

Die schreiende Unterkomplexität dieser Milchmädchenrechung sollte eigentlich schon genügend Aufschluss darüber geben, dass dem komplexen Thema BGE hier nicht genügend Zeit und Hirnschmalz gewidmet wurde. Trotzdem: versuchen wir es so einfach wie möglich aufzuziehen und gehen genau von dieser Basis aus. Dabei werde ich mich gar nicht auf einen spezifischen Betrag festlegen, der aus meiner Sicht deutlich höher sein müsste als 1.000 €.

Viele BGE Kritiker sagen: Warum sollten wir gut verdienenden Menschen einfach Geld schenken? Das wäre doch ungerecht. Mal abgesehen davon, dass eine Susanne Klatten oder ein Stefan Quandt es gar nicht merken würden, wenn sie monatlich 1000 € zusätzlich bekommen würden und sich somit die Frage stellt ob gerecht oder ungerecht hier überhaupt der richtige Maßstab ist, gibt es eine sehr einfache Lösung für dieses Dilemma. Zum Stichtag der Einführung des BGE erhalten alle Unternehmen die Erlaubnis, die Gehälter ihrer Mitarbeiter um exakt diesen Betrag zu kürzen, gleichzeitig müssen die Unternehmen aber exakt diesen Betrag an Steuern monatlich an den Staat abführen. Somit ist für diese Gruppe das BGE schon mal aufwandsneutral. Natürlich hat jetzt der Einzelne nicht mehr Geld in der Tasche und die Unternehmen werden aber auch nicht entlastet, aber weder das Eine noch das Andere sind ja das Ziel des BGE. Bei Menschen, die weniger als das BGE verdienen fällt der komplette Lohn weg, und das Unternehmen muss stattdessen den Betrag an den Staat abführen, der vorher der Bruttolohn war. Somit stockt der Staat also die Differenz vom ehemaligen Gehalt zum BGE auf. Jetzt stöhnen die ersten auf, ich kann es förmlich hören: Warum sollte dann noch irgendjemand in diesen Jobs arbeiten wollen? Aber genau das ist ja der Punkt: Das BGE soll die Menschen befreien vom Zwang einen miesen Job für ein Gehalt anzunehmen, von dem man nicht, oder mehr schlecht als recht, leben kann. Aber weiter: Bleiben noch die Selbständigen und Menschen mit leistungslosen Einkomen. Diesen zieht man spätestens bei der jährlichen Steuerabrechnung das BGE wieder ab. Auch hier: Wer weniger verdient als das BGE, dem wird nichts abgezogen, wer mehr oder genausoviel verdient, dem wird die Summe entsprechend über eine BGE Steuer wieder abgenommen. Wer nun bis zu seiner Steuererklärung das ganze BGE investiert, der soll von mir aus auch die Gewinne einstreichen dürfen, wer es im Casino oder auf dem Aktienmarkt verzockt, der hat halt Pech - so viel Eigenverantwortung sollte man gerade Selbständigen und Rentiers (im Sinne von "Bezieher leistungsloser Einkommen", nicht Rentner) schon zutrauen.

Wir sehen also: aufgestockt wird im Endeffekt nur bei den Menschen, die weniger als das für ein würdevolles Leben notwendigen Betrag verdienen. Gleichzeitig wird ein de-facto Mindestlohn gesetzt, aber nur - und das ist unter anderem der Clou - für die Jobs, die niemand machen will. Arbeitsverhältnisse, aus denen die Beschäftigten eine große persönliche Befriedigung ziehen, werden (anders als bei einem tatsächlichen Mindestlohn) indirekt subventioniert und das in einer Art und Weise, die es den Beschäftigten selbst erlaubt zu entscheiden, ob die Aufgabe subventionswürdig ist, oder nicht. Hier haben wir also zusätzlich einen demokratisierenden Effekt. Hart ausgedrückt: Bei einem nicht subventionswürdigen Drecksjob kann der Angestellte entweder höheren Lohn fordern oder kündigen, ohne Lohneinbußen in Kauf nehmen zu müssen. So werden, nach individueller Verhandlung, diese Tätigkeiten mindestens mit dem BGE, wahrscheinlich aber sogar höher bezahlt.

Nun noch kurz zur Reduzierung des Verwaltungsapparats. Die neoliberalen BGE Befürworter wollen ja praktisch alle sozialstaatlichen Einrichtungen abschaffen und das BGE soll dann als Pauschale alle Notwendigkeiten abdecken. Das wäre aber ohne soziale Härten nur dann realisierbar, wenn das BGE entsprechend hoch ausfällt, um auch die schwersten Pflegefälle abzudecken - dies ist wahrscheinlich nicht sinnvoll. Damit wäre klar, dass bestimmte Einrichtungen und Leistungen des Staates erhalten bleiben, die sich um besondere Bedarfe über BGE hinaus kümmern. Abschaffen kann man auf jeden Fall große Teile des Verwaltungsapparates, der sich um die ALG II oder Sozialhilfe und das damit zusammenhängende Sanktionsregime kümmert. Erhalten bleiben müssen aus meiner Sicht Leistungen und die dazugehörige Verwaltung für besonders benachteiligte Menschen (Behinderte, Pflegefälle etc.). Aber auch hier kann man sicherlich vereinfachen und Leistungen weniger restriktiv zuteilen (das ist aber eher Teil der Diskussion über MMT). Potential für Abbau oder Umstrukturierung gibt es aber sicher bei der Arbeitsagentur. Man kann sich überlegen, ob eine Arbeitslosenversicherung sinnvoll ist, damit nicht jeder (also auch alle Besserverdienenden) auf das gleiche Niveau (Grundsicherung durch BGE) zurückfallen. Die Vermittlung neuer Arbeitsplätze für Menschen, die aus irgendwelchen Gründen aus einem bezahlten Beschäftigungsverhältnis ausscheiden kann sicher auch reduziert bzw. umstrukturiert werden. Hier stelle ich mir eher etwas vor wie eine Orientierungshilfe für Menschen, die ihren Beruf wechseln wollen - fördern ohne zu fordern. Eine direkte Vermittlung für Arbeitsplätze wäre aus meiner Sicht nur sinnvoll, wenn der Staat neben dem BGE auch eine Jobgarantie (JG) anbietet, was mir als Ergänzung zum BGE sinnvoll erscheint. (Eine ausführliche Diskussion BGE vs. JG ist in Vorbereitung). Vereinfachungspotential ergibt sich sicherlich auch bei der Rentenversicherung. Eine Mindestrente ist hier durch das unbürokratische BGE sichergestellt, aber auch hier ist ein verdienstabhängiger Zusatzbetrag wahrscheinlich sinnvoll, vor allem, wenn man die massenweise "Flucht" der Besserverdienenden in die private Vorsorge reduzieren will. Dies würde aus verschiedenen Gründen Sinn machen, auf die ich an dieser Stelle nicht eingehen kann und will. Die auf die Finanzämter zukommende Verwaltung der BGE Steuern dürfte, vor allem da es sich ja um einen meist fixen Betrag handelt, zu kaum Mehraufwand führen, denn Einkommenssteuer etc. wird es nach wie vor geben - dafür könnte man sicher an anderer Stelle Komplexität reduzieren.

Dies ist eine grobe Skizze, wie ich mir ein sinnvolles BGE System vorstellen könnte. In den Details gibt es natürlich noch viel Diskussionsbedarf. Man muss zusätzlich attestieren, dass die Einführung des BGE aus unserem jetztigen, kapitalistischen System eine massive Disruption darstellt. Viele der von David Graeber "Bullshit Jobs" bezeichneten Berufe werden aussterben, schlecht bezahlte aber systemrelevante Tätigkeiten werden besser bezahlt werden müssen, Teilzeitjobs werden mit Sicherheit zunehmen. Aus meiner Sicht kann auch der Kündigungsschutz deutlich aufgeweicht werden (ich höre das Stöhnen), was es auf der einen Seite Unternehmen ermöglicht, Störenfriede eher loszuwerden, auf der anderen Seite aber zwingt das BGE die Firmen, qualifizierte Menschen durch bessere Bedinungen stärker an sich zu binden. Natürlich muss man auch nicht in diese Form direkt einsteigen. Ein erster Schritt wäre, die Sanktionen beim ALG II abzuschaffen und den Satz deutlich zu erhöhen und erst mal damit Erfahrung sammeln. Was ich sagen will: die Veränderungen werden so umfassend sein, dass wir sie aus heutiger Sicht kaum mit hoher Treffsicherheit voraussehen können. Wir bzw. die Politik wird dynamisch auf die sich ergebenden Veränderungen eingehen müssen. Es ist auch durchaus vorstellbar, diese Form des BGE nur als Einstieg in eine weitere Veränderung und Anpassung des Systems zu nutzen, abhängig von den konkreten Erfahrungen die wir dann machen. Denn eines ist klar: für ein wirkliches BGE gibt es keine Modellversuche - man kann es nur großflächig einführen oder eben nicht. Packen wir es an!